Kleine Anmerkung zu “Floor-Flex”: Genau genommen ist das Asbest. Schaut mal auf Google Bilder, wie Floor-Flex aussieht. Vielleicht gibt es das auch bei euch irgendwo noch.
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Finding me
PART 6
“Ich hab’s dir gesagt!”, rief Luca aus, als sie das Haus verließen.
“Was? Dass wir jetzt eine Schnitzeljagd machen dürfen? Oder heißt das Schnipseljagd?”
“Ich glaube, Schnitzel-”
“Aber Schnipsel wäre doch viel naheliegender. Also sammeln wir jetzt Glückskekszettel und Postkarten?”
“So sieht’s wohl aus”, stimmte ihm Luca zu.
“Ich seh den Sinn nicht. Das ist doch ein bisschen albern.”
“Ich bin sicher, wir finden am Ende was tolles”, erklärte Luca zuversichtlich.
“Also eine antike außerirdische Rasse schreibt wahrscheinlich nicht auf Papier.”
“Vor allem nicht, wenn sie intelligent genug ist, um Raumschiffe zu bauen und herzukommen.”
“Und wie wäre es mit Gestaltwandlern, die nach Laborversuchen ausgebrochen sind?”
“Monsanto würde ich alles zutrauen.”
“Da stimme ich dir zu”, bestätigte Marc.
“Also doch der Zeitreisende? Dann müsste ich mir keine Sorgen machen, dass jemand noch einen Zweitschlüssel hat.”
“Oder du führst mich damit an der Nase herum. Vielleicht versteckte Kamera.”
Sie fuhren auf den Parkplatz der Fontanebibliothek. Das Gebäude zwischen Einkaufszentrum und Wohn- und Bürokomplex hatte eine ansehnliche Glasfassade, aber die Inneneinrichtung stammte wahrscheinlich aus den 1950er Jahren.
Durch eine Drehtür mit diagonalen, verchromten Griffstangen und leicht milchigen Glasscheiben betraten sie das Gebäude. Zunächst mussten sie eine Treppe emporsteigen. Die Stufen, wie auch der Fußboden im Eingangsbereich, bestanden aus bräunlichen Floor-Flex-Platten, die vielleicht mal vor fünzig Jahren in, jetzt aber nur noch hässlich waren. Oben angekommen, eröffnete sich ihnen eine riesige Bibliothek. Sie sahen sich um, um sich einen Überblick zu verschaffen. Hier gab es gefühlt alles, was man sich vorstellen konnte, auch wenn das natürlich nur ein Bruchteil der auf der Welt existierenden Bücher sein konnte.
Marc interessierte das alles nicht; Luca allerdings interessierte sich sehr für historische Romane. Sein absoluter Lieblingsautor war Ken Follett, aber genauso gefiel ihm bardenartiger Erzählstil. Fantasy gegenüber war er ebenso nicht abgeneigt, da es ihn sehr faszinierte, wie altertümliche Mystik und Sagen Einzug in das Romanuniversum gefunden hatten. Sein Lieblingscharakter war Draco — der Drache aus Dragonheart. Der Film war einer seiner absoluten Lieblingsfilme und auch noch echt klasse animiert. Drachen waren einfach so edle, erhabene und weise Tiere. Und es gab sie in so vielen verschiedenen Arten, denn sie tauchten vielfach in der Mythologie auf.
Sie kamen auf eine Art Infostand und Kasse zu. Gerade als sie die dahinterstehende Angestellte ansprechen wollten, wandte diese den Kopf zu einer Kollegin, welche auf sie zukam.
“Ich übernehme hier. Danke, Nathalie.”
“Hey!”, rief sie euphorisch an die Neuankömmlinge gewandt und breitete die Arme aus.
Noch so eine, die sich einbildete, sie zu kennen? Das konnte ja heiter werden! Heute trafen sie aber wirklich nur auf Verrückte. Was hatte das alles zu bedeuten? Hoffentlich konnte diese Person ihnen das diesmal beantworten. Die Mitarbeiterin ließ nur Sekunden nachdem sie die Arme gehoben hatte, diese wieder sinken. Ihr Strahlen aber blieb zurück, auch wenn es um ein paar Nuancen verblasste.
“Schön, euch Jungs… zu sehen.”
Luca und Marc mussten sehr verwirrt aussehen, also fügte sie hinzu: “Ich bin Florentina”, aber es schien ihr zu widerstreben, sich vorzustellen.
Eine seltsame Person. Luca musterte sie. Sie war deutlich korpulenter, aber sie zählte zu den Personen, denen das stand — bei denen sich sogar teilweise die Persönlichkeit darin widerspiegelte. Auch ihr Vorbau bildete eine Wulst in ihrem etwas altmodischen Kleid. Ihre Brille hatte große, ovale Gläser, bis auf die jeweils spitz zulaufende obere, äußere Ecke. Die Bügel wurden hinter ihrem Nacken durch eine goldene Kette verbunden.
“Ich hab schon gewartet. Ich habe, was ihr sucht”, erklärte sie und signalisierte ihnen, zu warten, während sie sich umwandte und fortlief, um etwas zu holen.
“Es ist eindeutig eine Schnitzeljagd”, seufzte Marc.
“Besser als bei ‘13 Reasons Why’”, lachte Luca.
“Diese Netflixserie mit Hannah Abett?”
“Genau.”
“Hab ich nie gesehen.”
“Vielleicht ist das auch eine Schatzsuche und am Ende sind wir reich oder so.”
“Dann”, entgegnete Marc, “hätte ich aber gerne Jack Sparrows Kompass.”
“Oder…”, Luca musste ein Lachen mühsam unterdrücken, damit er seinen Gedanken erst aussprechen konnte und sein bester Freund auch etwas davon hatte, “…der alten Dame von vorhin ist einfach langweilig und sie will mal schauen, ob sie Jüngere wie Vollhonks an der Nase herumführen und sich im Alter noch etwas amüsieren kann.”
“Dann könnte sie insgeheim auch von der Mafia sein und es erwartet uns am Ende kein Schatz, sondern der Tod. Alles sehr unwahrscheinlich.”
“Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Das, was wir gerade erleben, ist schon seltsam.”
Schließlich kehrte Florentina wieder zurück und überreichte ihnen… ein Buch.