Joa lang, lang ists her, dass ich den letzten Teil gepostet hab…naja dafür heute mal einen längeren.
@ lukasimo: Danke
So was hört man gerne 
@ Upsnixan: Auch dir vielen Dank
Ob sich deine Vermutung bestätigt zeigt sich in den nächsten Teilen
Kapitel Drei
Part Eins
Lionatras
Am nächsten Morgen wachte ich schweißgebadet auf. Der Regen, der gegen die hohen Fensterscheiben prasselte hatte mich geweckt. Einen Moment lang war alles in Ordnung, ich hatte nur ein flaues Gefühl im Magen, doch im nächsten prasselten all die Ereignisse der vergangenen Tage auf mich ein. Sofort war die neutrale Stimmung wie weggeblasen und ich fing wieder an diese alles verzehrende Leere zu spüren. Ich schmeckte Blut im Mund, in Gedanken hatte ich mir wohl völlig unbewusst auf die Zunge gebissen.
Bevor jemand mich stören konnte verriegelte ich schnell die Tür und ging hinaus auf meinen Balkon. Die Luft im Raum erschien mir auf einmal zu stickig, um weiterhin hier drinnen bleiben zu können. Ich riss die Türen so weit wie möglich auf und stellte mich nach draußen in den Regen. Ich blickte hoch in die tief hängenden Wolkenschwaden und die dicken Tropfen, die auf mein Geicht hinab fielen, vermischten sich mit meinen Tränen und rannen in kleinen Strömen auf den Boden zu. In weiter ferne, weit hinten über meinem geliebten Wald war blauer Himmel zu sehen und die Sonne tauchte die geschwungene Landschaft beim Aufgehen in ihren herbstlichen Schein. Was würde ich dafür tun hier weg zu kommen. Weg von all dem, weg von der Hochzeit, weg von meinen schrecklichen Eltern und nur weg von dieser hässlichen Burg mit ihrem fast schwarzen Gemäuer, das einen immerzu zu erdrücken schien. Aber das ging nicht. Ich war nun mal ein Prinz und als Prinz hatte man das zu tun, was der König einem verordnet. Frustriert wirbelte ich herum und setzte mich zurück auf mein Bett.
Im Laufe des Tages klopfte es mehrfach, aber ich reagierte weder auf das andauernde Zureden, noch auf die Versuche mir Essen unterzuschieben und saß einfach nur apathisch auf meinem Bett, während der Tag immer weiter voran strich. Irgendwann schlief ich wieder ein und träumte von Freiheit. Von erfüllter Sehnsucht. Und von Geborgenheit. Von Geborgenheit, die mir nicht Kaldes gab. Der Ganze Traum fühlte sich wunderschön an und ich wollte ihn nicht verlieren, aber schon tauchten die fiesen Finger aus dem Nebel des Traumes auf und zogen mich brutal zurück in die Wirklichkeit. In dem Moment, in dem ich meine Augen aufschlug, hatte ich eine Entscheidung gefällt. Mir war es egal ein Prinz zu sein. Ich würde mich nicht von meinem Vater herumkommandieren lassen. Die formvollendete Wildheit der Natur zog mich unwiderstehlich an. Es tat zwar weh von all dem loszulassen, erst recht von meinem Lieblingsbruder Kaldes, aber es ging nicht anders. Ich würde abhauen. So froh und selbstbewusst wie schon lange zuvor nicht mehr trat ich bestärkt von meinem Entschluss hinaus auf den Balkon. Es hatte aufgehört zu regnen und die Wolken hatten sich verzogen. Unter mir befand sich erst der Burghof, und noch weiter unten die Hauptstadt Silberfels. Die größte aller Städte aller Königreiche. Sie war von oben ganz hübsch anzusehen, mit den hunderten von steilen Gassen und den eng verwinkelten Fachwerkhäusern, die über und über mit kleinen spitzen Türmchen und einer Vielzahl von Schornsteinen gespickt waren. Die Häuser schmiegten sich an den Hang und schienen eine Mauer zwischen Burg und Natur zu bilden. Reges Treiben herrschte auf den Hauptstraßen, wo die Bauern ihre Esel zu Höchstleistungen antrieben, um die voll beladenen Karren den Weg hoch zur Burg zu bringen und den städtischen Kornspeicher zu füllen. Die Kette der Wagen ging hinunter bis zu den Stadttoren und sogar noch weiter. Dieses Jahr war ein gutes Erntejahr gewesen. Peitschenschläge und das gequälte aufschreien der entkräfteten Tiere erfüllte die Luft, zusammen mit dem freudigen Lachen spielender Kinder, die zwischen den Wagen herflitzten und dem normalen Rummel einer großen Stadt. Hinauf wehte der ekelhafte Gestank von Mist und ungewaschenen Menschen, der in den Straßen sogar noch schlimmer und im Sommer fast unerträglich war. Aber manchmal, wenn ein kräftiger Wind aufzog, brachte er den wundervollen Geruch nach frischem Laub, nach Grüne und lebendiger Natur mit. Vom Wald. Ich selber war zwar noch nie so weit weg gewesen, konnte mir aber nur vorstellen, dass es wundervoll war. Weit hinter den Stadttoren und weit hinter den sich über Kilometer erstreckenden Feldern und Wiesen lag er in seiner vollen Pracht. Die Sonne beleuchtete die die sanft geschwungenen, dicht bewaldeten Hügel mit ihrem goldenen Schein. Der Wald hatte viele Farben. Es gab alles von Orange bis Rot. Von Braun bis Grün. Die Vielzahl der Bäume und Pflanzen schien kein Ende zu nehmen. Das war es, wo ich hin wollte.
Für den Rest des Tages verfiel ich in ein reges Treiben. Ich saß auf dem Bett und baute fleißig Luftschlösser. Dachte mir alles bis ins kleinste Detail aus. Wie schön es wohl werden würde, wie Frei ich wäre, wie wunderbar weich sich der Boden unter meinen Füßen anfühlen würde, wie schön es wäre all die wilden Tiere zu sehen…Während ich so da saß gingen mir auch so einige Gedanken durch den Kopf, die sich mit den Dingen beschäftigten, die ich mitnehmen wollte. Da waren in erster Linie meine Bücher. Dann natürlich auch noch Tinte, Feder und Papier. Ich wollte ja meine Eindrücke festhalten. Und natürlich noch etwas zu essen. Ich lief zur Tür, schob den Riegel beiseite und öffnete sie. Auf der anderen Seite erwarteten mich eine Vielzahl von Speisen und Getränken auf Tabletts, die sich im Laufe des Tages dort angesammelt hatten und die ich nun schnell über die Schwelle zog, bevor ich die Tür wieder verriegelte. Ich überlegte kurz, wie ich das alles transportieren wollte, dann fiel mir oben auf dem hohen Eichenschrank ein Zipfel Stoff ins Auge. Das war der Leinensack, in dem die Magt normalerweise meine Kleidung zum waschen wegtrug. Was für Anziehsachen in Ordnung war, sollte für Bücher und Essen gerade recht sein. Ich zog den schweren Stuhl hinter meinem Schreibtisch hervor, stellte ihn vor den Schrank und stieg drauf. Das ist der Nachteil wenn man nicht allzu groß ist. Man braucht immer irgendetwas zum draufstellen um an hoch gelegene Sachen dran zu kommen. Im vergleich zu meinen Brüdern war ich wirklich klein geraten, aber vielleicht kommt das ja noch. Mithilfe des Stuhls schaffte ich es, zog den Sack vom Schrank und sprang wieder hinunter. Ich ging zu dem Regal, das voll beladen mit meinen Lieblings Büchern an der Wand lehnte. Ich stand einige Zeit davor. Am liebsten würde ich alle mitnehmen, aber das würde wohl zu schwer werden. So entschied ich mich für ein gutes Dutzend Bücher, die ich in den Sack stopfte. Dann stopfte ich die trockenen Teile des Essens, die genug an Verpflegung für einige Wochen sein sollten, dazu und legte das mittlerweile doch recht schwere Bündel auf den Boden. Ein schneller Blick nach draußen zeigte mir, dass die Sonne schon drauf und dran war unter zu gehen. Ich sollte früh schlafen gehen, damit ich morgen bei Sonnenaufgang los gehen könnte, aber ich war überhaupt nicht müde. Vermutlich, weil ich am Nachmittag so viel geschlafen hatte. Oder es war die Aufregung und Vorfreude, die in mir brannte. Ich wuselte noch eine Zeit lang in meinem Zimmer herum, fand aber nichts mehr, was ich noch hätte tun können. Ich setzte mich aufs Bett und schaute unruhig in der Gegend herum. Mein Magen knurrte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit Gestern nichts gegessen und getrunken hatte. Ich schnappte mir eins der Tabletts auf der eine Schale kalte Hühnersuppe und ein Teller mit ein paar Scheiben trockenem Brot standen. Ich wollte gerade den ersten Bissen nehmen, als es wieder Klopfte. Ich ließ meine linke Hand sinken und rief gereizt »Was ist?« Kaldes’ sanfte Stimme räusperte sich »Lio, bitte lass mich mal kurz rein. Ich muss mit dir reden.« Ich überlegte einen Moment. Es wäre nicht sehr gut, würde ich ihm von meinem Vorhaben erzählen. Und es nicht zu tun, würde schwer werden. Andererseits würde ich Kaldes liebend gerne noch ein letztes mal sehen. Seufzend stand ich auf und schob den Riegel beiseite. Da musste ich wohl auf meine Schauspielkünste vertrauen. Sofort machte Kaldes die Tür auf und schlüpfte in mein Zimmer. Interessanter weise verriegelte er die Tür hinter sich wieder. Unauffällg kickte ich den Sack unters Bett. Wir setzten uns auf mein Bett und Kaldes sah mir lange in die Augen. Ich hatte Angst, dass er alles, was ich dachte darin lesen konnte. Vielleicht war es ja auch so. Kaldes war zwei Jahre älter als ich und gefühlt drei Köpfe größer als ich. Dazu breit wie ein Schrank und der zukünftige Kriegsherr von Silberfels. Auf dem Schlachtfeld war er ungezähmt, stark und gefürchtet, so erzählte man es sich zumindest. Doch jetzt sah er mich nur aus gefühlvollen dunkelblauen Augen an und pustete sich eine schwarze Strähne aus dem Auge. Wir standen uns sehr nahe. Er schien nach Worten zu ringen. »Lio, ich…«. Er stockte und setzte erneut an. »Was unsere Eltern mit dir anstellen wollen finde ich unter aller Sau. So was ist nicht in Ordnung. Du sollst wissen, dass du jede Unterstützung von mir bekommst, die du brauchst. Wenn es sein muss hole ich dich da irgendwann aus dem Loch raus. Und mir ist es egal, ob mein Ruf oder meine Stellung darunter leidet. Schließlich bist du mein Bruder, und Brüder halten zusammen. Das scheinen die anderen nur noch nicht kapiert zu haben.« Ich schluckte schwer und musste mich derbe zusammen reißen, um nicht doch noch alles auszuplaudern. Aber “Irgendwann” reichte mir nicht. Ich wollte gar nicht erst dort hin! Aber dennoch war ich tief gerührt. »Danke« brachte ich mit versagender Stimme heraus und nahm ihn in den Arm. Er umfing auch mich mit seinen kräftigen Armen und ich fühlte mich geborgen wie nirgendwo sonst. Dass dies vermutlich eins der letzten male oder das letzte mal war, dass ich ihn sah versetzte mir einen tiefen Stich. Ich drückte ihn nur umso heftiger. Nach einer kleinen Ewigkeit setzte er sich auf und ließ mich los. »Wir sehen uns morgen.«, sagte er und wuschelte mir im gehen noch einmal durch die Haare. Dann war er, genau so schnell wie er gekommen war, wieder verschwunden. Es war mittlerweile dunkel geworden in meinem Zimmer. Ich starrte die Tür noch lange an, unfähig mich zu bewegen. Irgendwann schaffte ich es dann aber doch, schleppte mich zur Tür und schob den Riegel wieder vor. Dann aß ich doch noch einen Happen, doch alles schmeckte nach nichts. So stellte ich das Tablett bald wieder weg, ohne aufgegessen zu haben. Wo doch sonst mein Appetit eigentlich recht ordentlich war. Ich legte mich innerlich ausgelaugt auf das Bett und war nicht einmal mehr in der Lage mich zuzudecken. Ich starrte apathisch an die Decke und dachte nach. Kaldes’ Besuch scheint alles geplante auf den Kopf zu stellen…Andererseits würde er mich nicht ganz und gar davor bewahren können nach Sturmtal zu gehen. Die traurige Melodie einer Leier zog von der Stadt durch die noch immer geöffneten Fenster herein und ein leichter Wind brachte die Blätter der Bäume auf dem Burghof zum rascheln. Es roch nach Herbst. Und nach Wald. Der Wald, den ich nie sehen würde, wenn ich nach Sturmtal ziehen würde. Ich war schon so weit gekommen, hatte alles gepackt und wollte dann doch noch kneifen? Mit immer weiter im Kreis drehenden, wirren Gedanken schlief ich letztendlich doch noch ein.
Das ferne Morgengrauen riss mich aus meinem wenig erholsamen Schlaf. Mir war bitter kalt. Ich lag eng zusammen gerollt auf meinem Bett und ein schneidender Wind pfiff durch die offenen Fenster. Mein Hirn schien mir wie ein einziger verknoteter Klumpen zu sein. Und dazu noch vereist. Ich streckte mich, stand auf und und hüpfte eine Weile durch die Gegend, bis mir wieder warm wurde. Schließlich begab ich mich wieder einmal auf den Balkon und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Die Sonne ging in der Ferne im rötlich-orangenen Schein auf und strahlte die wenigen, fluffigen Wolken an. Es würde ein schöner Tag werden. Vermutlich auch warm. Ich stellte mir jede erdenkliche Situation vor, die mir widerfahren könnte, doch keine erweckte solch eine Faszination und solch ein wohliges Gefühl wie die, eins mit dem Wald zu sein und von allem unabhängig zu sein. Und damit war der Entschluss gefasst. Ich würde gehen. Ich würde es durchziehen. Damit würde ich zwar den Zusammenhalt, den Kaldes mir gestern Abend gepredigt hatte, über den Haufen werfen, aber das konnte mir jetzt egal sein. Ich würde es ihm erklären. Mit neu gewecktem Optimismus zog ich den Stuhl wieder zum Schreibtisch heran und schrieb in säuberlichster Schrift einen Abschiedsbrief für Kaldes. Ich schrieb ihm all meine Gefühle und Gründe für meinen Entschluss, die ich anderen gegenüber nicht mal erwähnt hätte. Außerdem bat ich ihn in dem Brief mein Verschwinden nicht sofort zu melden, um mir etwas Vorsprung und Zeit zu verschaffen, die ich wohl bitter nötig hatte. Schließlich würde ich im Gegensatz zu den Wachen nicht mit meinem Pferd unterwegs sein, da sich das im wilden Dickicht des Waldes nicht anbot. Aber bis ich erstmal den Wald erreicht habe wird es einige Zeit dauern. Und ich bin mir absolut sicher dass mein Vater sofort nach mir suchen lässt, sobald er erfährt, dass ich nicht mehr da bin. Ich schrieb die letzten Worte und setzte schließlich meine geschwungene Unterschrift unten auf das nun voll gefüllte Blatt Papier. Das einzige was jetzt noch fehlte war etwas festere Bekleidung.
Ich zog meinen Reisemantel an und dazu meine Reitstiefel. Ich überlegte erst ob ich noch eine Weste mitnehmen wollte, entschied mich dann aber dagegen, schließlich war es draußen noch ziemlich warm und ich würde sie nur schleppen müssen. Als ich fertig war schnappte ich mir den Sack und den Brief und ging Richtung Tür. Bevor ich das Zimmer verließ schaute ich mich allerdings noch einmal zufrieden um und prägte mir alles genau ein. Ich hatte nicht vor jemals hierhin zurück zu kehren. Jetzt ging es auf in eine bessere und endlich vollkommene Welt und ich würde später über dieses Lächerliche Arrangement nur noch lachen können. Während ich das dachte rutschte mir der Sack immer weiter aus der Hand. Mein zufriedener Gesichtsausdruck entgleiste ein wenig. Mist. Er war einfach zu schwer um ihn die ganze Zeit in der Hand halten zu können. Ich setzte ihn wieder ab, und kramte Nadel und Faden aus dem Bodensatz einer der Truhen hervor, wobei auch ich ein winziges in Leder gebundenes Buch fand, das ich schon seit Jahren suchte. Es war so klein dass es mühelos in meine Handfläche passte und besaß angelaufene Kupferbeschläge und leicht vergilbte Seiten. Nichtsdestotrotz waren das die schönsten Erinnerungen meiner frühen Kindheit. Ich kann mich noch erinnern wie ich gespannt auf dem Schoß meiner Mutter saß, während sie mir die uralten Märchen aus diesem Buch vorgelesen hat. Ich würde mich unmöglich von diesem kleinen Büchlein trennen können, also ließ ich es in meine Manteltasche gleiten und ging mit dem Nähzeug zu dem Kleiderschrank. Innen drin befand sich ein Haufen Kleidung, aus dem sich nun zwei Hemden von ihrem Saum trennen mussten, den ich kurzerhand abschnitt. Es tat mir nicht weh diese Kleider zu zerstören. Ich hatte ja schließlich genug. Den abgeschnittenen Saum faltete ich doppelt und nähte ihn umständlich mit groben Stichen an den Sack an den Enden an. Das gleiche machte ich mit dem zweiten. So hatte ich nun zwei Schlaufen an denen ich den Sack bequem auf dem Rücken tragen konnte. Ich begutachtete das Resultat einen Moment. Es sah nicht sehr professionell oder ordentlich aus, aber es würde halten müssen. Ich setzte den Sack auf, schnappte mir den Brief und trat ohne mich ein weiteres mal umzuschauen hinaus auf den fensterlosen Gang. Auch um diese helle Tageszeit war es hier vollkommen frei von Sonnenlicht und nur die Fackeln, die in regelmäßigen Abständen an der aus groben Stein gemauerten Wand hingen, gaben ihren flackernden Schein ab und schwängerten die Luft mit stickigem Rauch. Ich lief eilig zu Kaldes’ Zimmer. Die Gänge hier waren das reinste Labyrinth, aber in den vielen Jahren hatte man gelernt sich zurecht zu finden, auch wenn ich immer noch neue Abkürzungen fand.
Als ich schließlich vor seiner Tür angekommen war und einigen vorbeieilenden Dienern ausgewichen bin, die sehr überrascht waren mich zu sehen, klopfte ich unser geheimes Klopfsignal, das wir für uns beide vereinbart hatten. Ich wollte ihm den Brief geben und ihn bitten ihn erst einige Stunden später zu öffnen. Aber niemand machte auf. Auch nach dem zweiten und dritten Klopfen öffnete niemand. Ich hielt einen der zahlreichen Diener an.
»Wo ist Kaldes?« fragte ich ihn. Er senkte wie es sich gehörte den Kopf, aber starrte mich aus rebellierenden Augen aus an. Die Dienerschaft schien wie alle anderen nicht besonders viel von mir zu halten. Sie gaben mir zwar oberflächlich betrachtet alles, was ich brauchte, aber das auch nur, weil ich der Sohn des Königs war und es schon so manches mal Ärger mit ungehörigen Dienern gab, der meistens in deren Tod endete. Genauer betrachtet gaben sie mir nicht mal das was mir zustand. Das Essen war meistens noch halb Roh, die Hemden und Hosen zu eng genäht und in den Blicken lag wie auch jetzt unverhohlene Abneigung. »Kaldes ist zur Zeit nicht da« antwortete der Diener. »Das sehe ich.«, antwortete ich kühl. Ich war es leid diese Blicke zu ertragen. Zum Glück würde ich das bald nicht mehr müssen. »Aber WO ist er?« fragte ich betont. »Er ist mit seinem Pferd außer Haus beim Hofschmied in der Stadt. Er wird vermutlich in den nächsten Stunden nicht wiederkommen.« Mist! Ich würde ihn also nicht mehr wieder sehen. Vielleicht war es ja besser so…nachher würde ich mich noch verraten. »Danke. Viel Spaß noch bei deiner Arbeit heute.« Und dem Rest deines Lebens, fügte ich in Gedanken hinzu. Der Diener warf mir noch einen letzten vernichtenden Blick zu, drehte auf dem Absatz um und machte sich davon. Was die bloß immer hatten…Als die Schritte im Gang verklungen waren bückte ich mich und schob den Brief unter der Tür hindurch.
Schnell stand ich wieder auf, denn ich hörte bereits die herannahenden trippelnden Schritte der weiblichen Dienerschaft. Warum musste die ganze Burg denn immer so voll mit bediensteten sein? Zu viele Leute, die mein Verschwinden beobachten. Ich drängte mich an den Mägten vorbei, die große Körbe mit Wäsche trugen, fleißig schnatterten und mich nicht zu beachten schienen, und ging zügig in Richtung des Thronsaals. Der Entschluss abzuhauen zog mich freudig vorwärts durch die langen, tristen Flure. Alles zog nur an mir vorbei, denn ich wusste dass ich bald draußen sein würde. Nie mehr diese Flure entlanglaufen. Nie mehr. Diese Vorstellung erfüllte mich mit einem großen Glücksgefühl. Schließlich erreichte ich die stählernen Flügeltüren auf denen von zwei Fackeln beleuchtet das große Familienwappen prangte. Die Türen selbst waren so groß, dass 3 Männer übereinander hätten hindurchgehen können. Zwei schwer gepanzerte Wachen flankierten das Portal und verkreuzten ihre Hellebarden vor mir, als ich eintreten wollte. Wie immer. Sie wussten doch wer ich war. Alle hatten was gegen mich. Normalerweise hätte ich jetzt einen Wutanfall bekommen, doch das allgemeine Hochgefühl verhinderte es. Ich warf ihnen nur ein eisiges Lächeln zu und ging ohne zu zögern weiter auf das Tor zu. Das einzige was man hören konnte waren meine hallenden Schritte im Gang. Als ich nur noch wenige handbreit von den Waffen entfernt war zogen sie sie freiwillig mit einem lauten metallischen Klirren zurück, das die Stille zerriss. Ihnen war wohl doch noch klar geworden wer ich bin und was für Konsequenzen es haben könnte, den Sohn des Königs aufzuspießen. Vermutlich eher weniger des Sohnes Willen, als mehr wegen der geplatzten Hochzeit. Naja, die würde eh nicht mehr statt finden. Mein lächeln wurde wärmer und etwas schelmisch. Durch die heruntergeklappten Visiere konnte ich die Augen der Wächter nicht erkennen, da sie im tiefen Schatten lagen, doch ich war mir sicher dass sie mir vernichtende Blicke zuwarfen, als sie sich gegen das schwere Tor drückten und es mühevoll aufschoben. Ich trat hindurch und lief geradeaus auf die Thröne meiner Eltern zu. Ein blausilberner Teppich durchzog den ganzen Raum von dem Tor bis hin zum Thronpodest. Der Raum selber war riesig. Er war bestimmt dreißig Schritt hoch, zwanzig breit und sechzig lang. Auf beiden Seiten ließen unzählige hohe Fenster den Raum heller erstrahlen. Die Sonne warf auf der Ostseite kürzer werdende goldene Strahlen durch die Fenster, die den umherwirbelnden Staub in rote Funken verwandelte. Es wurde bereits Mittag. Sie zeichneten die Muster der Scheiben auf den Boden, die von einstigen heroischen Taten unserer Familie handelten. Die hohe Decke schmückte ein reich verziertes Kreuzgewölbe, das von unzähligen massiven Säulen getragen wurde. Auf dem Boden zu beiden Seiten des Teppichs standen eine große Anzahl hölzerner Bänke und Tische zwischen erkalteten Feuerstellen. Spät Abends und Nachts feierten hier die Krieger, die von ihren Patroullien an den Grenzen zu den Anderslanden wiederkehrten. Wenn sie wiederkehrten. Nicht selten verschwand ein ganzer Trupp oder nur einzelne Personen kehrten zurück, meist schwer verwundet, nur um mal wieder zu berichten, dass die Bestien erneut ins Königreich eingefallen sind. Wir auf der anderen Seite schlachteten hunderte von Bestien ab. Sie galten als Primitiv und nur wenige wussten es besser. Wie ich. Kaldes war schon mehrfach an den Grenzen gewesen, hatte viele Narben davongetragen und hat mir erzählt, wie es dort wirklich abläuft. Es herrschte Krieg. Nur das wollte hier am Hof niemand wahr haben.
Ich trat näher an das Podest heran und blieb stehen. Meine Mutter blickte auf, als sie mich hörte und ihr Federkiel hielt über dem Dokument inne, auf dem Sie einen Bericht niederschrieb. Vermutlich den der letzten Patrouille. Sie lächelte mich an. Sie schien heute nicht mehr mit mir gerechnet zu haben. „Schau mal wer da ist, Freldon.“ Sagte sie. Als er nicht antwortete blickte sie ihn streng an und knuffte ihn in die Seite. Er schrak auf und schlug die Augen auf. „Was, wo…oh Ismara, was ist los?“ fragte er verschlafen. „Schau mal wer da ist.“ Wiederholte meine Mutter und dann erfasste sein Blick mich auch endlich. „Lio! Schön dich zu sehen! Deine Mutter und ich haben uns Sorgen um dich gemacht…du bist gestern den ganzen Tag nicht aus deinem Zimmer gekommen.“ Er klang jetzt schon wieder etwas wacher. Ich wechselte vorsichtshalber schnell das Thema, bevor wir auf die Hochzeit zu sprechen kamen. Das würde meine Hochstimmung sofort wieder vernichten. Ich grinste ihn scheu an. „Und? Warst du wieder tief in deinen Gedanken versunken?“ Er begann zu strahlen. „Aber ja! Ich hatte soeben über den Verlauf der Schlacht um Varael sinniert, in der ich noch ein kleiner Junge war…“ Auch meine Mutter musste schmunzeln. Wir hatten beide das leise Schnarchen gehört.
Immer noch das leichte Grinsen auf den Lippen fragte ich „Habt ihr etwas dagegen, wenn ich den schönen Tag heute nutze? Es ist Herbst und wer weiß wie viele es dieses Jahr noch geben wird. Und es würde mir vielleicht auch ganz gut tun mal raus zu kommen.“
Sie schienen überrascht von der plötzlichen Gemütsänderung und sie rangen einen Moment nach Worten. „Ja, klar! Wir finden das sogar gut. Wir wissen alle dass du gerade eine schwere Zeit durchmachst…Nimm dir die Auszeit die du brauchst. Wo soll es denn Hingehen?“
Auf diese Frage war ich vorbereitet gewesen. „Auf die Wiesen unterhalb der Stadttore…ich wollte mich ein bisschen in die Sonne legen und lesen. Keine Sorge, Wiesel kommt mit.“
Wiesel war unser Hund. Er war noch relativ jung, aber er hat sich sehr an mich gewöhnt und wir waren sozusagen beste Freunde.
„In Ordnung. Aber sei zum Sonnenuntergang wieder da.“ Verständnisvoll nickten sie mir zu.
„Danke.“ Sagte ich und wandte mich mit einem fröhlichen Grinsen ab. Aber das Grinsen schenkte ich nicht ihnen, sondern mir. Ich lächelte frohlockend in mich hinein, während ich die Halle in Richtung Tor durchquerte. Es war so einfach gewesen. Sie hatten alles ohne zu zweifeln geschluckt. Auch von meiner Seite aus hätte ich nicht gedacht, das ich sie ohne Gewissensbisse würde auf ewig verlassen können, sie waren schließlich meine Eltern, doch jetzt war ich einfach nur noch froh weg zu kommen. Als ich das Tor durchquerte setzte ich die Kapuze des Reiseumhangs auf und ging hinunter zum Burghof.